Schweigeseminar: Ruhe in mir zu finden ist das höchste Ziel – aber die Stille auch die größte Herausforderung
Wer möchte das nicht? Einfach mal Ruhe in seinem Kopf und die Gedanken anhalten. Ja meistens springt unser Geist doch wirklich nur von einer Nichtigkeit zur nächsten und diese Masse an Gedanken quält uns nicht nur manchmal, sondern trübt auch zunehmend unseren Blick auf die Realität. Alle Gedanken die wir von Kindheit an in Form von Bildern, Worten und Gefühlen denken, haben über die Jahre hinweg unsere vermeintliche Identität und unser Ego geformt. Somit sind alle Wahrnehmung die wir haben, eine subjektive Beurteilung auf Grundlage unserer Erfahrungen und Gefühle. Keine Situation die wir erleben, wird von einem anderen Menschen auf genau die gleiche Art und Weise empfunden, denn unsere Gedanken sind wie ein persönlicher Filter, der sich über die vermeintliche Realität legt. Durch Worte und Sprechen werden diese Gedanken nach außen transportiert und es passiert immer wieder, dass wir impulsiv reden und emotional reagieren, bevor wir darüber nachgedacht haben, was wir aussprechen werden und so manch einer hat das mit Sicherheit schon einmal bereut. Diese beiden Aspekte – Gedanken und Worte – waren der Fokus des Schweigeseminars und Meditationsseminars, das ich am Wochenende bei Yoga Vidya erlebt habe.
Achtsamkeit – Lernen über unser Kopfkino zu lächeln
Wir können unseren Gedanken also nicht entfliehen, sie beherrschen uns und wir sind diesen Befehlen unseres Geistes gegenüber hilflos? Das klingt wirklich frustrierend und als ob wir ein Gefangener in uns selbst sind. Es gibt jedoch durchaus Methoden, das Springen der Gedanken zu entschleunigen und den Geist vielleicht sogar für längere Zeit zur Ruhe zu bringen. Eine Maßnahme dafür ist die Achtsamkeitsmeditation, in welcher wir unsere Gedanken beobachten und auf eine neutrale Art und Weise betrachten, ohne in sie hineinzugehen. Indem wir alle Gedanken zulassen und nicht verurteilen, können wir vielleicht sogar lernen, dieses Kopfkino zu belächeln und es nicht all zu ernst zu nehmen. So weit so gut Durch das Schweigegelübde (Mauna), das wir während des Schweigeseminars von Freitag Abend bis Sonntag Mittag abgelegt haben, sollten wir zusätzliche Energie und Kraft für die Meditation sammeln, da Worte (vor allem falsche und zu viele Worte) uns Energie nehmen können und unseren Geist nur von der erstrebenswerten inneren Ruhe ablenken. Schweigen bedeutet hier nicht nur nicht zu reden, sondern sämtliche Formen von Kommunikation inkl. Blickkontakt, Berührungen, Schreiben, Lesen etc. Das physische Schweigen führt nach längerer Zeit irgendwann auch zum Schweigen des Geistes, weshalb es Yogis gibt, die über Wochen und Monate hinweg schweigen.
Muss ich das wirklich tun? Hindernisse auf der Suche nach der unendlichen Weite
Wer von euch hat schon mal ganz bewusst, ohne in irgendeiner Form zu kommunizieren, Zeit in Stille mit sich selbst und seinen Gedanken verbracht? Ich meine nicht kurz vor dem Einschlafen und wirklich ganz alleine ohne Handy, Musik, TV, Internet, Bücher oder andere Formen der Ablenkung. Wenn ja, dann wisst ihr wie schwer das auf Dauer sein kann und dass nicht jeder die Fähigkeit besitzt, ganz entspannt mit seinem Geist alleine zu sein. Manche Menschen bekommen, je nachdem in welcher Lebensphase sie sich gerade befinden, sogar regelrecht Angst vor ihren Gedanken und ertragen es nicht, mit sich allein zu sein.
Auch ich konnte das Schweigen bei diesem Schweigeseminar, außer vielleicht beim Essen, nicht so richtig genießen und habe mich zwischendurch ganz schrecklich gelangweilt. Es war auch nicht besonders hilfreich, dass um uns herum hunderte Menschen sprechen durften. Das klingt so kleingeistig, denn hätte ich mich nicht eher die ganze Zeit tief in mir versenken müssen und zu großartigen Erkenntnissen gelangen sollen? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass ich mich sehr isoliert gefühlt habe, Lust auf Ablenkung hatte und mich gerne mit meiner Gruppe ausgetauscht hätte. Abends bin ich auch einmal eingeknickt und habe ein wenig gelesen. Die Stille in mir hat mich irgendwie sehr belastet und obwohl ich eher ein ruhiger Mensch bin und auch sehr gerne Zeit mit mir alleine verbringe, hatte ich fast das Gefühl platzen zu müssen, weil ich einfach nur sprechen wollte! Vielleicht war das Problem einfach, dass ich nicht durfte? Denn Angst hatte ich vor meinen Gedanken eigentlich nicht…
Das Anstrengendste während des Schweigeseminars waren aber wohl die insgesamt 4,5 (!) Stunden Meditation am Samstag und Sonntag. Ein paar Sekunden Stille gefolgt von minutenlangen, pathetischen, willkürlich aufploppenden, zusammenhangslosen Gedanken. Eine Kindheitserinnerung, meine Einkaufsliste, ein Buch das ich lesen will, Probleme die ich schon gelöst habe, Träumerei, dann wieder meine Einkaufsliste, Urlaubsplanung – dann plötzlich die Realisierung „Mist, ich denke schon wieder“. Das Beobachten meiner Gedanken habe ich mir schon seit einigen Monaten angewöhnt und auch jetzt habe ich die Gedanken einfach nur registriert, nicht darüber nachgedacht und weiterziehen lassen. Nur leider hat das meinen Kopf nicht davon abgehalten, immer wieder neu zu denken und nach ein paar gefühlten Sekunden Gedankenfreiheit wurde ich vom nächsten Strudel erfasst.
So ging das drei Mal 1,5 Stunden lang und es hat mich fertig gemacht. Ich habe mich immer wieder gefragt, was ich hier eigentlich gerade tue, dass ich das ja überhaupt nicht kann, es überhaupt nichts bringt hier zu sitzen, warum die anderen um mich herum alle so entspannt und vertieft aussehen? Ich habe bestimmt alle zehn Minuten meine Sitzposition geändert, bis ich mich einmal sogar einfach hingelegt habe, weil ich keine Kraft mehr hatte auf meinem Hintern zu sitzen (dabei bin ich natürlich eingeschlafen). Durch das Fliessen der Gedanken ohne die ständige automatische Gedankenkontrolle und -manipulation, wurde ich am Nachmittag auch noch unglaublich müde und bin bei der Meditation ein paar Mal eingenickt und in ein schwarzes Loch gefallen. Das Gefühl nur noch nach innen gekehrt zu sein, hat zeitweise Panik- oder Erstickungsgefühle bei mir ausgelöst und ich musste immer wieder die Augen öffnen, um mich wieder zu orientieren. Zudem hab ich vor lauter Anstrengung nicht zu denken, Kopfschmerzen bekommen und als dann noch eine Uhr hinter mir so laut getickt hat, dass ich fast vor Wut darüber geheult hätte, habe ich wirklich total an mir gezweifelt.
Ich bin nicht allein mit meinem Kampf…
Es hört sich total verrückt an und meine Unfähigkeit einfach nur ein paar Minuten in Stille zu verweilen hat mich sehr beunruhigt. Normalerweise meditiere ich gerne und habe in den letzten Monaten auch schöne Fortschritte bemerkt. Jedoch fiel es mir unglaublich schwer, in diesem kühlen Raum mit 100 anderen angehenden Yogalehrern (und der entsprechenden Geräuschkulisse) auf Kommando in mich zu gehen. Aber nachdem wir wieder sprechen durften, habe ich erfahren, dass ich bei weitem nicht die Einzige war und dass von außen betrachtet die Meisten zwar höchst meditativ und unglaublich versunken aussahen, aber viele genau so gekämpft haben wie ich.
Zitate: „Meine nächste Woche ist bereits durchgeplant“, „Ich hab nicht meditiert“, „Werden wir diese Weite jemals erfahren können?“ „Ich habe mir selbst geredet“ oder „Ich musste unerklärlicherweise immer wieder Lachen“.
Dennoch glaube ich, dass wir auf die eine oder andere Art durchaus meditiert haben und die Größe, Macht und Vernetzung unserer Gedanken durch die Meditation und das Schweigen erfassen konnten. Manch einer hat auch bestimmt eine Idee von der großen, stillen Weite bekommen, die uns hinter all unseren Gedanken erwartet. Der meditative Zustand, einfach nur zu sein und reines Bewusstsein zu erfahren, ist manchmal schwer zu beschreiben und zu definieren, wodurch man oft gar nicht weiß, ob man nun meditiert hat oder eher in Tagträumen versunken war. Definitiv war das Schweigeseminar mit der langen Meditation für alle eine große Herausforderung und ich bereue trotz aller Schwierigkeiten nicht, diese Erfahrung gemacht zu haben. Leider stand ich nach dem Schweigeseminar noch ziemlich neben mir und noch fällt es mir schwer wieder zu meditieren. Ich werde jedoch dran bleiben und weiter daran arbeiten meine Gedanken besser zu kontrollieren.