„Probiers mal mit Gemütlichkeit“ Wie wir lernen können das Nichts-Tun zu genießen
Einfach mal einen Tag nichts tun und faul sein. Das ist für viele Menschen unvorstellbar und fast immer mit einem schlechten Gewissen verbunden. Aber wem gegenüber haben wir ein schlechtes Gewissen? Woher kommt der innere Druck immer produktiv zu sein, Erfolg auf privater und beruflicher Ebene anzustreben und ständig etwas sinnvolles zu tun? Ich weiß nicht ob es nur unsere Generation und heutige Gesellschaft ist, denn auf irgendeine Art war es bestimmt auch schon früher so, aber ich habe das Gefühl, dass wir irgendwann verlernt haben zu leben.
Für die meisten Menschen beginnt der Erfolgs- und Produktivitätsdruck schon in der Kindheit, aber spätestens im Studium werden wir mit dieser Realität konfrontiert. Vor allem seit der Umstellung auf das Bachelor-System, bedeutet Studieren nicht mehr Zeit zur Selbstfindung. Man wird in drei Jahren einmal im Turbogang durchgeschleust, hat keine Chance mehr herauszufinden, was einen wirklich interessiert, wo die Leidenschaften und Talente liegen und diese dann entsprechend zu vertiefen. Studenten sind heute primär damit beschäftigt, möglichst viele Fakten und Wissen schnell und in kürzester Zeit in sich hinein zu schaufeln, ohne viel Zeit für Reflexion zu haben. Was am Ende des Studium übrig bleibt, ist weniger brauchbares Wissen und entwickelte Persönlichkeiten, als (krass ausgedrückt) strukturiert arbeitende, produktive Arbeitsmaschinen.
„Ein voller Terminkalender ist noch lange kein erfülltes Leben“ (Tucholsky)
Der Druck immer effektiv und einsatzbereit zu sein, zieht sich leider durch alle möglichen Lebensbereiche. In unseren Jobs zählt oft nur die Quantität und nicht die Qualität und Chefs schauen auf die Uhr statt auf das Ergebnis. Wir selbst sind gefangen in dieser Tretmühle, nie ist es genug, wir machen Überstunden, unsere To-Do Listen füllen ein paar Seiten und dennoch fühlt es sich nicht produktiv an. Unser Freundeskreis muss groß sein, wir sollten schon mindestens jeden zweiten Abend soziale Kontakte pflegen (nicht nur auf Facebook!), gefragt sein bei Abendessen, Feierabenddrinks und am Wochenende unterwegs sein, um auch was erzählen zu können. Denn wie würde das denn aussehen, wenn wir einfach mal keine Lust haben und lieber zu Hause bleiben. Natürlich darf auch die perfekte Beziehung nicht fehlen. Ein ausgefülltes Sexleben, Romantik, Zukunftspläne, der optimale Partner und bloß niemanden hinter die Kulisse schauen lassen. Am Besten sollten wir dann auch noch mindestens zwei Mal pro Jahr verreisen, vorzugsweise weit weg, etwas exotisches, denn man muss ja was zu erzählen haben und sich in die Reihe der Weltreisenden einreihen können. Wer heute nach dem Abi noch nicht in Australien war oder sich ein paar Monate Auszeit gegönnt hat, scheint ja schon unnormal. So wie es aussieht, machen wir uns mittlerweile den Stress in allen möglichen Lebensbereichen und das geht genau so lange gut, bis unser Körper und Geist nicht mehr können und wollen.
Stop mit dieser Yang-geprägten Lebenseinstellung
Wieso fühlen wir uns nur nützlich, wenn wir ständig „ausgebucht“ sind, weshalb sieht unser Leben nur wertvoll aus wenn es auf allen Ebenen perfekt läuft und wir ständig beschäftigt sind? Wir sind doch alle Menschen und keine uniformen Roboter. Wir alle dürfen Fehler machen, faul und lustlos sein und Bereiche im Leben haben, in denen es manchmal halt nicht so rund läuft. Ich habe das Gefühl, dass einfach mal unproduktiv zu sein und nichts zu tun keinen Wert mehr für uns hat. Es passt einfach nicht in die Erwartungen der Gesellschaft. Dabei ist es genau so wichtig, denn ich sage nicht, dass produktiv zu sein falsch wäre, es fehlt nur viel zu häufig das Gegenstück dazu. Gut und schlecht, positiv und negativ, traurig und glücklich, dies alles gehört zu einem ausgeglichenen Leben dazu. Yin und Yang ist ein universelles Prinzip, das uns genau das zeigt: Alles hat eine gegensätzliche Seite und beide Seiten gehören zusammen, um eine natürliche Balance zu erreichen. Daher sollten wir daran arbeiten, auch genau so bewusst einfach mal nichts zu tun und Ruhephasen ohne ein schlechtes Gewissen zu genießen. Denn unsere Gesellschaft ist definitiv sehr viel mehr Yang (aktiv) als Yin (passiv) geprägt.
Wie lerne ich nichts zu tun, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben?
- Höre auf dein Bauchgefühl: Wenn dir nicht nach Action ist, dann zwinge dich nicht, sondern bleibe zu Hause und genieße es.
- Mache dich unabhängig von deinem Umfeld: Nur weil andere immer noch die Perfektion in allen Lebensbereichen anstreben, musst du nicht das selbe tun. Fühle dich nicht schlecht, wenn du Montags sagst, dass du das ganze Wochenende nichts getan hast.
- Hinterfrage regelmäßig was du tust: Tust du es weil du es wirklich willst, oder weil du denkst dass du musst? Warum machst du ständig Überstunden? Weshalb paukst du schon wieder die Nacht durch? Musst du unbedingt jeden Abend die Woche ausgebucht sein?
- Mach dir bewusst, dass niemand perfekt ist: Schau dich in deinem Bekanntenkreis um, jeder hat sein Päckchen zu tragen und keiner hat das „optimale“ Leben.
- Nehme dich selbst und das Leben nicht so ernst: Hey wir leben nur einmal, die Welt wird schon nicht untergehen, wenn du einmal nicht einsatzbereit bist, das Universum ist so groß, da dürfen wir uns doch viel Zeit für unsere Bedürfnisse nehmen!
- Schreibe nicht so viele To-Do Listen: Wenn wir nur von einem Termin zum nächsten hetzen, verpassen wir doch das Leben. Es gilt nicht immer „Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen“.
- Tue dir regelmäßig etwas Gutes, um bewusst zu entschleunigen: Wenn du merkst, dass seit Tagen Stress dein Leben dominiert, dann halte bewusst inne. Yoga kann dir helfen, deine Bedürfnisse klarer zu sehen, ruhiger zu werden und eine innere Balance zu finden.
- Wenn deine Arbeit erledigt ist, gehe nach Hause: Sitze nicht noch die letzten dreißig Minuten, nur damit keiner blöd guckt.
Natürlich muss man sich nicht zwingen, ganz und gar nichts zu tun. Mit nichts tun, meine ich einfach nur etwas zu tun, das dich erfüllt und gut fühlen lässt. Das kann schlafen bedeuten, einen Film gucken, ein Buch lesen, wahllos durch die Gegend spazieren oder auch den Balkon neu zu bepflanzen, wenn es dir Spass macht. Dieses Thema ist so unendlich vielseitig und ich könnte wahrscheinlich noch ewig weiter schreiben, aber an dieser Stelle möchte ich zum Ende kommen und ich bin gespannt auf eure Kommentare. Vielleicht habt ihr ja eine ganz andere Ansicht oder könnt noch mehr Tipps für ein entspannteres Leben geben?
Ich erkenne mich in allem wieder. Es wird Zeit das ich endlich zur Ruhe komme… Danke