Ein wunderschöner Tag bei der Unterweisung des Dalai Lama in Hamburg
15 Jahre ist es her, dass ich das erste Mal über den Dalai Lama las: Das Buch „Sieben Jahre in Tibet“ beschreibt die Erlebnisse des Bergsteigers Heinrich Harrer, der im Jahr 1947 am Hofe des Dalai Lama in Tibet ankommt. Damals war der Dalai Lama erst 12 Jahre alt, aber dennoch haben mich diese Geschichte und die Beschreibungen so sehr fasziniert, dass ich den Dalai Lama unbedingt einmal live erleben wollte.
In der Tat ist Tendzin Gyatsho im Alter von 79 Jahren eine beeindruckende Persönlichkeit, mit einer unglaublichen Ausstrahlung, wie ich am Sonntag in Hamburg erfahren durfte. Mit 7.000 weiteren Besuchern lauschte ich ihm vier Stunden lang im Kongresszentrum CCH und beobachtete ihn auf gigantischen Leinwänden, während er auf Tibetisch und Englisch über die Hindernisse und Probleme auf dem Weg zum Erwachen philosophierte.
Zu seiner Seite saß ein sehr talentierter Dolmetscher, der uns ca. alle zehn Minuten die Erklärungen des Dalai Lamas ins Deutsche übersetzte. Dieser saß ganz entspannt im kreuzbeinigen Sitz auf der bunt dekorierten Bühne auf einem kleinen „Thron“. Verschmitzt grinste er manchmal ins Publikum und seine Ruhe, Wärme und Zuversicht strahlte bis zu mir, „Kilometer“ entfernt, in einer der letzten Reihen. Es war eine Freude ihn zu beobachten, während er ständig mit beiden Händen sanft gestikulierend versuchte, uns einige wichtige Grundlagen des tibetischen Buddhismus nahezubringen. Er wirkte auf mich sehr jung geblieben mit einem klaren und wachen Geist. Bei manchen Fragen aus dem Publikum, schien er auf sympathische Weise sogar etwas verwirrt zu sein, zum Beispiel als ihn jemand fragte, warum man sich im Buddhismus nicht mehr berühren würde und ob er als privater Lehrer zur Verfügung steht. Manchmal brach er sogar in lautes Lachen oder Kichern aus, woraufhin das ganze Publikum sich freute und mitlachte und die ganze Energie im Raum noch mehr positiv aufgeladen wurde.
Obwohl der Vortrag meiner Meinung nach höchst philosophisch war und ich als Nicht-Buddhistin überhaupt keine Vorkenntnisse habe, konnte ich doch ein paar der Kernaussagen „herausfiltern“:
- Die Wesenlosigkeit aller Dinge: Das Ich ist leer. Das bedeutet aber nicht, dass seine Existenz verneint wird, sondern sagt, dass Dinge einfach nicht nur aus sich selbst heraus existieren. Sie existieren auf Grund von Beziehungen und somit sollten wir sie nie isoliert bzw. nur auf Grund unserer Wahrnehmung betrachten.
- Hindernisse auf dem Weg zum Erwachen beseitigen: Wir müssen unsere Unwissenheit überwinden und erkennen, dass wir die Wirklichkeit nicht sehen wie sie ist. Diese Erkenntnis ist wie „das Licht anzuschalten“.
- Nächstenliebe: Erkenntnis alleine reicht nicht aus und unsere Motivation sollte das Wohl der Anderen sein.
- Negative Emotionen sind Projektionen von uns selbst: Wie halten das für wahr wie es uns erscheint. Es ist wichtig die Dinge zu hinterfragen, denn unser falsches Denken entsteht erst, weil wir Negativität (und auch Attraktivität) projizieren. Darüber nachzudenken, dass die Dinge eine Illusion und nicht absolut sind und nicht aus sich selbst heraus positiv oder negativ sind, führt schon zu mehr Ausgeglichenheit.
Ich übernehme hier keine Garantie für die Korrektheit der buddhistischen Philosophie und der Dalai Lama hat natürlich noch über viele andere Dinge gesprochen. Basis seines Vortrages war ein Text aus dem 8. Jahrhundert von Sāntideva, mit dem Titel „Bodhicaryāvatāra“ („Anleitung auf dem Weg zum Erwachen“). Diese Punkte waren für mich persönlich jedoch die wichtigsten Aussagen, die ich am Besten nachvollziehen konnte und mit denen ich eigentlich auch weitgehend übereinstimme. Grundsätzlich kenne ich schon einige dieser Ideen aus dem Yoga und mehr oder weniger geht es hier ja auch um die buddhistische Lehre der Achtsamkeit.
Der Dalai Lama scheint ein sehr geduldiger Mensch und voller Liebe und vor allem Nächstenliebe zu sein. Ich kann mir nicht vorstellen wie es ist, so ein Leben (von Kindheit an!) zu führen. Einerseits so intensiv zu studieren und philosophieren, regelmäßig Meditation und Versenkung zu praktizieren, um eine innere Ruhe und ruhigen Geist zu bewahren. Aber andererseits auch für so viele Menschen und ihre Sorgen und Fragen ein offenes Ohr zu haben und gleichzeitig die Ideen und Visionen des Buddhismus in die Welt zu tragen. Er ist für viele Menschen der geistige Führer, aber auch Buddha, König, Gott, Lehrer und Heiliger und seine spirituelle Kraft ist so intensiv, dass sie auch mich sehr berührt hat.
Mein Highlight des Tages war übrigens, als ich in der Mittagspause zufällig beim Aufzug im ersten Stock eine kleine Menschentraube entdeckte und den Dalai Lama aus nächster Nähe sehen konnte